Langsam klettert der Wagen auf der Achterbahn nach oben, die Anspannung steigt, gleich wird der Körper wird in den Sitz gepresst und Adrenalin, Kortisol und weitere Stress- und Glückshormone fluten den Körper. „Wer zu Migräne neigt, erlebt Achterbahnfahren vermutlich anders als Menschen, die dafür genetisch nicht sensibel sind“, sagt Professor Dr. Arne May. Leiter der Kopfschmerzambulanz am UKE. Um zu ergründen, ob eine virtuelle Achterbahnfahrt hilft, eine genetisch bedingte Sensibilität für Migräne sicher zu diagnostizieren, läuft an seinem Institut gerade eine Studie. Die Besucherinnen und Besucher der Gesundheitsakademie können an diesem Abend auf dem Markt der Gesundheitsakademie testen, wie es ihnen bei diesem Studienabenteuer geht.

44 genetische Veränderungen an 38 Stellen im Erbgut begünstigen das Auftreten einer Migräne, die neben Spannungskopfschmerz und Clusterkopfschmerzen zu den häufigsten Kopfschmerzarten zählt. „Migräne hat eindeutig eine genetische Komponente“, betonte der Neurologe in seinem knapp einstündigen Vortrag. Sie verändert die Gehirnaktivität so, dass die Menschen, wird eine Belastungsschwelle durch äußere Einwirkungen überschritten, überfallartige, bohrende, stechende oder/und hämmernde Kopfschmerzen empfinden. Zugleich sind sie lärm- und lichtempfindlich und ihnen wird übel.
Ausgelöst wird diese Reaktion, weil die Aktivität des Gehirns die Blutgefäße im Bereich der schmerzempfindlichen Hirnhäute weitet, sodass entzündungsfördernde Stoffe in das umliegende Gewebe eindringen. Diese Entzündungsreaktion, so die These gegenwärtig, bedingt die Migräne.
Unbehandelt dauern die Attacken wenige Stunden bis zu drei Tagen an. „Etwa 70 Prozent der Erkrankten können wir helfen“, sagte Prof. May. Neben Medikamenten, zu denen seit kurzen sich auch ein speziell gegen Migräne wirkender Antikörper namens CGRP gesellt hat, können auch regelmäßig betriebener Ausdauersport, eine schmerzorientierte Verhaltenstherapie oder die Progressive Muskelentspannung nach Jakobson (PMR) Abhilfe schaffen.
„Aber nur bei der Migräne wissen wir dank intensiver Forschung in den vergangenen 20 Jahren, was sie auslöst“, sagt der Neurologe. Bei den meisten Kopfschmerzformen, Experten kennen 240 unterschiedliche Formen, hingegen ist immer noch unbekannt, wie der Schmerz entsteht und wo der „Motor“ steckt, der darüber entscheidet, wann der Kopfschmerz beginnt und wann er endet. „Deshalb freuen wir uns, wenn Sie an unseren Studien mitwirken. Von Mäusen und Affen können wir beim Thema Kopfschmerz nicht viel lernen“, betonte Prof. May mehrfach in seinem Vortrag.
Aber Schmerz, so schilderte der Mediziner einleitend, „hat zunächst einmal eine Warnfunktion! Wer keine Schmerzen kennt, wird nicht lange leben.“ Schmerz ist ein guter Lehrer. Wer einmal von einer Wespe gestochen worden ist, wird diese Tiere in Zukunft meiden. Dabei nimmt jeder Mensch Schmerz anders wahr – und derselbe Schmerz wird auch von jedem Einzelnen nicht immer gleich wahrgenommen.
Der Grund: Die Schmerzursache registrieren spezialisierte Sinneszellen, sogenannte Nozizeptoren. Die Analyse und die Bewertung des Schmerzes hingegen erledigt das Gehirn. Deshalb nehmen wir in einer Narkose auch keine Schmerzen wahr, obwohl die Nozizeptoren immer aktiv sind. „No brain, no pain“, kommentierte der Neurologe und wies zugleich daraufhin, dass nicht nur unser Gehirn sondern auch das von Tieren sehr wohl Schmerzen bewerten könne. Wie intensiv wir einen Schmerz empfinden, hängt somit nicht nur vom Nervensignal ab, sondern auch vom Zusammenspiel biologischer, psychologischer und sozialer (kultureller) Faktoren, die gerade zu dem Zeitpunkt unser Leben prägen. Wichtig ist dieses Schmerzverständnis für die Behandlung von chronischen Schmerzen, die ein eigenes Krankheitsbild darstellen und „ihre Warnfunktion verloren haben“.
Für die Möglichkeit, akute Schmerzen empfinden zu können, sollten wir hingegen dankbar sein. Sie verlängern unser Leben. (ang)