Am 22. Dezember 1895 entstand das Bild, das die Diagnostik in der Medizin revolutionierte. Es zeigt die Handknochen der Ehefrau von Wilhelm Conrad Röntgen, an der – gut sichtbar – der Ehering steckt. Noch nie zuvor hatten Mediziner in das Innere eines Menschen blicken können, ohne ihn aufzuschneiden. Mit diesem ersten Röntgenbild dokumentierte Wilhelm Conrad Röntgen seine bahnbrechende Entdeckung. „Erst knapp zwei Monate zuvor, am 8. November, hatte der Maschinenbauer und Physiker auf der Suche nach sichtbaren Strahlen zufällig bei einem Experiment in seinem Keller eine Strahlungsart entdeckt, die wir in Deutschland Röntgen-Strahlung nennen und die weltweit sonst X-Ray heißt. Das liegt daran, dass Röntgen diese Strahlung in seiner Publikation über die Entdeckung zunächst mit ‚X’ bezeichnet hatte“, erläuterte Professorin Cordula Petersen in ihrem Vortrag „Strahlen – sehen und heilen“. Insofern, fügte die Direktorin der Klinik für Strahlentherapie augenzwinkernd hinzu, sei es super, dass Sie Anfang Dezember, der Zeit der Entdeckung, den Vortrag halte.

Doch unter den Kollegen von Röntgen herrschte zunächst großer Zweifel und auch Neid. Einige kamen aber bei ihm vorbei und ließen ihre Hände röntgen. „So entstand eine ganze Galerie von Bildern, die letztlich alle Vorbehalte sprengte“, sagte die Strahlentherapeutin. Der Siegeszug des Röntgen begann – und er wurde von zwei weiteren Entdeckungen begleitet und verstärkt. Der französische Physiker Henri Becquerel entdeckte – ebenso zufällig wie Röntgen X-Ray – die Radioaktivität von Uran: Er trug ein Stück in seinem Sakko und wunderte sich anschließend über die Rötung seiner Haut. An Radioaktivität forschten auch Marie Curie und ihr Mann Pierre Curie. 1903 erhielten die drei den Nobelpreis für Physik, 1911 erhielt Marie Curie, erste Professorin an der Sorbonne, den Nobelpreis für Chemie.
„Mit diesen Entdeckungen begann der Siegeszug der bildgebenden Verfahren, die uns heute einmalige Bilder liefern, um Krankheiten zu diagnostizieren und Behandlungen zu planen beziehungsweise zu überwachen. Und es begann eine technische Entwicklung, die immer dynamischer verlief und uns jetzt Strahlengeräte beschert, mit denen wir Tumore äußerst präzise bestrahlen können und so das gesunde Gewebe schonen“, erläuterte die Strahlentherapeutin und schilderte voller Begeisterung die faszinierenden Techniken, die diese Möglichkeiten vor allem in der Krebstherapie eröffnen.
Jährlich erkranken etwa 470000 Menschen neu an einer Krebsform. 60 bis 70 Prozent der Erkrankten werden im Verlauf der Behandlung bestrahlt, 40 bis 50 Prozent erhalten die Strahlentherapie als erste Behandlung. Insbesondere Menschen, die an Brust-, Prostata-, Unterleibs-, Darm- und Lungenkrebs oder Lymphomen erkranken, profitieren.
Dabei hat sich die Strahlentherapie in den vergangenen zehn Jahren grundlegend gewandelt. Die Behandlung von Körperregionen, die sich – wie die Lunge – bewegen, zählte lange zu den großen Herausforderungen der modernen Strahlentherapie. „Doch heute können wir die Atmung des Patienten in die individuelle Bestrahlungsplanung einbeziehen. Dadurch können wir so bestrahlen, dass das Gerät nur dann Strahlung abgibt, wenn der Tumor optimal angesteuert wird. Sonst schaltet das Gerät ab“, erzählte sie. Die „Atemgetriggerte Röntgentherapie, auch Gating genannt, ist hochpräzise.
Seit etwa zwei Jahren können beispielsweise auch Metastasen im Gehirn punktgenau bestrahlt werden. „Diese Entwicklung ersetzt manchmal die Hirn-Operation und in jedem Fall die Belastungen, die früher bei der Bestrahlung des gesamten Gehirns entstanden sind“, sagte die Medizinerin.
„Geflasht“ seien die Strahlenmediziner von einer zunächst völlig unerwarteten Entwicklung. Die Kombination von Strahlentherapie und Immuntherapie verbesserte teilweise die Rückbildung selbst von den Metastasen, die nicht bestrahlt worden sind, deutlich. „Die Immuntherapie entreißt den Krebszellen die Tarnkappe, so dass das Immunsystem sie erkennen und bekämpfen kann. Bei Patienten, die mit einer Kombination aus Immuntherapie und einer Strahlentherapie behandelt wurden, werden oft auch die Metastasen kleiner, die wir nicht bestrahlt hatten. Seit einigen Jahren beobachten wir das und auf jeden Kongress geht die Frage um: Hast Du einen Abskopal-Effekt gesehen? Es ist einfach eine aufregende Zeit!“ Und eine noch aufregendere Zukunft, die neue Geräte eröffnen. „Die Kombination aus MRT und Linearbeschleuniger erlauben eine Strahlentherapie, die so präzise wirkt, wie eine Stecknadel“, sagte Professorin Petersen.
Doch gerade angesichts des technischen Fortschritts, gelte es, mit jedem Patienten auf Augenhöhe zu sprechen und gemeinsam zu entscheiden, was getan und was gelassen werden soll. „Man sieht nur mit dem Herzen gut.“