Nur an Herz-Kreislauf-Erkrankungen sterben in Deutschland mehr Menschen als an Krebs. Die Diagnose wirkt bedrohlich – die aktuellen Zahlen zeigen jedoch: Die Krebssterblichkeit geht zurück, und die Lebenserwartung der Betroffenen ist stark angestiegen. Starben vor etwa 40 Jahren mehr als zwei Drittel aller Erkrankten an Krebs, „können heute zwei von drei Patienten geheilt werden“, so Professor Carsten Bokemeyer, der Direktor des Universitären Krebszentrums Hamburg und der II. Medizinischen Klinik auf der Gesundheitsakademie UKE .
Gleichwohl sind die Prognosen erschreckend. Erkranken gegenwärtig bereits jährlich 490.000 Menschen in Deutschland erstmalig an Krebs, erwarten die Experten, dass in fünf Jahren bereits 540.000 Menschen diese Diagnose erhalten werden. „Krebs ist immer noch vor allem eine Alterserkrankung. Zwei Drittel aller Krebserkrankungen treten bei Menschen über 65 Jahren auf. Da unsere Bevölkerung immer älter wird, steigt damit das Risiko, dass eine unserer Zellen im Körper verrückt spielt, und sich Krebs entwickelt, oder dass die vielen Dinge, die wir im Laufe des Lebens zu uns nehmen, doch einmal eine negative Wirkung haben“, erläuterte der Onkologe.

Zentral ist das Rauchen. „20 Prozent aller Krebserkrankungen sind damit verknüpft“, sagte Professor Bokemeyer. Bei Lungenkrebs sind sogar 89 Prozent der Erkrankungen bei Männern und 83 Prozent der Erkrankungen bei Frauen durch Rauchen bedingt. Aber auch für Blasen-, Bauchspeicheldrüsen-, Speiseröhrenkrebs und Tumore im Kopf-Hals-Bereich ist Rauchen der zentrale Risikofaktor. „Das Risiko steigt um das Vier- bis Fünffache“, so Professor Bokemeyer. Und das ist nicht alles: Auch die Wirkung der Krebstherapie sinkt, wenn nach der Diagnose weiter geraucht wird. „Deshalb lohnt es sich immer, mit dem Rauchen aufzuhören! Nach zehn bis fünfzehn Jahren entspricht das Risiko etwa den Menschen, die nie geraucht haben.“
Ein noch größerer Risikofaktor für eine Krebserkrankung ist allerdings Bewegungsmangel und Übergewicht. „Diese Kombination steigert das Risiko um 30 Prozent. Sie hat somit das Rauchen als Risikofaktor überholt“, so der Mediziner. Das Risiko steigt für besonders zehn Krebserkrankungen, unter ihnen Brust-, Darm- und Bauchspeicheldrüsenkrebs. Ausreichend Bewegung – etwa eine halbe Stunde täglich, so dass man aus dem Atem kommt –und gesunde Ernährung, die das Gewicht im Normalbereich hält, sind also wichtige Faktoren, um dem Krebs zumindest weniger Chance zu geben. Wie das aussehen kann, wurde anschließend auf dem „Markt der Gesundheit“ an den Mitmach-Stationen zu Ernährung und Bewegung genau erläutert.
Der Fortschritt bei den Heilungsergebnissen hat viele Gründe. Zum einen wirken die klassischen Therapien – chirurgische Verfahren, strahlentherapeutische Verfahren und Chemotherapien – zielgenauer und sie sind besser verträglich. Außerdem gibt es eine Vielzahl neuer Medikamente und Therapien. Diese haben gerade in den vergangenen zehn Jahren deutlich zugenommen.
Eine der beiden wesentlichen Verbesserungen der vergangenen fünf bis zehn Jahre ist die Immunologische Krebstherapie. Sie befähigt das Immunsystem wieder, die Krebszellen zu erkennen und effektiv zu bekämpfen. Diese Therapie wird, nach einer sorgfältigen Diagnose des Charakters des Krebses, ungefähr bei jedem vierten Patienten inzwischen eingesetzt. In Zukunft wird diese Therapie sicherlich noch viel individueller gestaltet werden können. Die zweite Verbesserung beruht auf neuen Medikamenten. Bei 20 bis 25 Prozent aller Erkrankungen kann man durch spezifische Gentests erkennen, welche Faktoren den Stoffwechsel der Krebszelle antreiben. Dann kann man nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip diesen Prozess mit einem Medikament (Checkpoint-Inhibitoren) gezielt unterbinden. Dadurch wird die Erkrankung für ein bis zwei Jahre stillgelegt – und dann muss man weiter sehen.
„Es geht darum, für jede Patientin und jeden Patienten die Bausteine zu bestimmen, die zu einer optimalen Therapie gehören, und sie sinnvoll zu verknüpfen. Diese multimodale Therapie entwickeln wir disziplinübergreifend in Tumorboards“, erläuterte der Mediziner. Allein in 2019 berieten diese über 12500 Patientinnen und Patienten. Dabei waren es nicht nur Erkrankte, die am UKE auch behandelt werden. Vielmehr seien auch Zweitmeinungen häufiger gefragt.
Wie deutlich die neuen Therapien zum Fortschritt beitragen, zeigt der Schwarze Hautkrebs. Er kann mit beiden Therapiestrategien behandelt werden. Noch vor fünf bis sechs Jahren lebte zwei Jahre nach der Diagnose Schwarzer Hautkrebs mit Metastasen von zehn Erkrankten nur ein Einziger. Seitdem es diese Therapien gibt, also nur fünf bis sechs Jahre später, leben nach dieser Diagnose noch fünf bis sechs Menschen von zehn Erkrankten – und zwar nach fünf Jahren! Doch Krebs hat viele Gesichter und es wird noch viel Forschung brauchen, und noch wirksamer die Entstehung und Entwicklung der Krankheit zu unterbinden.
Zugleich ist auch die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten gestiegen. Dazu tragen auch Bewegungstherapie, Therapien der Komplementärmedizin, Ernährungsberatung, verbesserte Reha oder psychologische Unterstützung bei. „Selbsthilfegruppen“, so betonte Professor Bokemeyer, „sind ganz wichtig. Sie bieten Unterstützung und helfen, den Alltag zu meistern.“
Öffentliche Berichterstattung:
Hamburger Abendblatt:
https://www.abendblatt.de/hamburg/article228259623/UKE-Krebs-neue-Therapien-und-Vorsorge.html